Grün­ZeugsZwei: Die Wahrheit sagen in einer kompli­zierten Welt

Quelle: nextjump.com

WAS IST WAHR?

Weltweit erleben wir einen besorg­nis­er­re­genden Zerfalls­pro­zess der poli­ti­schen Kultur. Die Verspre­chen von Stabi­lität und Sicher­heit werden brüchig. Weil alte Gewiss­heiten nicht mehr tragen, wächst aller­orten die Angst – vor Terror, neuen Tech­no­lo­gien, Migra­tion, Verlust von Wohl­stand und Status. Popu­listen greifen diese Ängste auf, indem sie einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Oft bleibt dabei die Wahrheit auf der Strecke: Wahr ist für sie, was sie für wahr halten. Das Bemühen um Fakten­treue und Reali­täts­sinn zählt nichts mehr.

In den „sozialen Medien“ können diese Schein­lö­sungen mit geringem Aufwand und mit großer Wirkung verbreitet werden. Obwohl dort alles „öffent­lich“ ist, gibt es keine Öffent­lich­keit: Man sitzt meist alleine vor einem Gerät und konsu­miert isoliert Posts und Meinungen.Viele reden deshalb von der Filter­blase, wo sich in einem Dschungel von Trollen, Fake News und Hate Speech jede und jeder einen Wohlfühl-Kokon spinnt.

EIN WAHRHEITSMONOPOL?

Zuge­spitzt zeigt sich der Zerfall der poli­ti­schen Kultur im Bereich der Wirt­schaft. Es bestehen verschie­dene gesell­schaft­liche Ratio­na­li­täten: Was aus der Sicht eines einzelnen Unter­neh­mens rational ist, kann aus der Sicht der Gesell­schaft völlig unver­nünftig sein: Wer zum Beispiel aus Kosten­gründen auf Umwelt­schutz verzichtet, belastet und schädigt das Gemein­wohl. Hier muss ein Prozess der Inter­es­sen­ab­wä­gung bestimmen können, was für die Allge­mein­heit vernünftig ist. Statt­dessen werden oft Spal­tungen verschärft und gnadenlos pola­ri­siert: Wahr ist nur, was uns nutzt.

„Die Wahrheit ist eben kein Kristall, den man in die Tasche stecken kann, sondern eine unend­liche Flüs­sig­keit, in die man hineinfällt.“

Robert Musil

Quelle: wiki­pedia

„Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.

Mark Twain

WAHRHEITSSUCHE IST MÜHSAM

Hier ist jede Bürgerin und jeder Bürger gefor­dert. Gesunde Skepsis und Offen­heit sind probate Mittel gegen popu­lis­ti­sche Verein­fa­chung. Dabei sollte klar sein, dass wir „die“ Wahrheit im konkreten Leben kaum je errei­chen, schon gar nicht alleine vor dem PC. Die Wahrheit hat Prozess­cha­rakter, wir können sie in einem kriti­schen Dialog mitein­ander anzielen und dabei vermeint­liche Gewiss­heiten immer neu auf den Prüf­stand stellen. Vermut­lich kommt der Wahrheit am nächsten, wer versucht, die Dinge nicht nur mit seinen Augen zu sehen, sondern auch mal aus der Perspek­tive der anderen.

So gesehen, braucht es zur Wahr­heits­suche immer mehr als einen, mehr als eine Infor­ma­ti­ons­quelle, mehr als ein Meinungs­me­dium. Wirklich demo­kra­ti­sche Gesell­schaften sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie Orte gemein­samer Wahr­heits­suche sind. Es geht in der Demo­kratie tatsäch­lich nicht nur darum, abzu­stimmen und Entschei­dungen zu treffen, es geht immer auch darum, gemeinsam und respekt­voll um die Wahrheit zu ringen. Zuge­geben, das ist mühsam. Aber im Vergleich zum Grau in Grau einer dikta­to­ri­schen Einheits­mei­nung finden wir, dass diese Anstren­gung jede Mühe wert ist.